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Persönlicher Kommentar

Sind wir alle blöd?

Wann ist es denn endlich genug? Ich kann es langsam nicht mehr hören, alle sind entweder Nazis oder linksgrün-versiffte Gutmenschen. Dazwischen gibt es nichts. Gefühlt gibt es nur noch gut und böse, richtig und falsch. Und Jeder hat die Weisheit mit Löffeln gefressen und lebt die "Meins-ist-besser-als-deins"-Strategie. Natürlich nicht, ohne das den Anderen immer wieder aufzutischen. Haben wir verlernt Situationen differenziert zu betrachten oder sind die Mehrheit der Menschen einfach nicht dazu in der Lage? Warum gibt es immer nur ganz oder gar nicht? Sind wir einfach nur zu blöd und fallen alle Menschen nur auf simple Parolen rein?

Das alles könnte man glauben, wenn sich zu sehr mit der Berichterstattung von und in Medien beschäftigt wird. Social Media, aber auch viele Zeitungen, Funk und Fernsehen geben ein bestimmtes Bild von der Realität wieder. Aber es ist nur ein Bild von tausend möglichen. Auch wenn man von Berichterstattung erwartet, neutral zu sein, ist sie in der Regel alles andere als dies. Dazu muss man verstehen, wie Medien funktionieren. "Die Medien" gibt es nicht. Es gibt Menschen, die auf verschiedene Weise über verschiedene Begebenheiten berichten. Mittlerweile und vor allem durch Social Media gibt es auch viele Menschen, die ihre persönliche Meinung in einer breiten Öffentlichkeit vertreten können. Dies kann Vor- und Nachteile haben, vor allem, wenn man vergisst, dass dies Meinungen sind, keine Tatsachen. Vereinfacht gesagt, funktionieren die Algorithmen von Social Media so, dass dir mehr Meldungen eines Typs angezeigt werden, von denen du bisher welche angeklickt, dir länger angesehen oder geliked hast. Das heißt, deine Meinung wird bestätigt und vertieft und nicht in Frage gestellt oder mit anderen Berichten gegenübergestellt. Schon sind wir in der Filter-Blase.
Menschen, die für Zeitungen, Funk und Fernsehen arbeiten, haben Schwierigkeiten mit der Schnelllebigkeit der verbreiteten Meinungen mitzuhalten. Ein gut recherchierter und differenziert beleuchtender Bericht benötigt verschiedene Wege, Konzentration, Reflektion, viele Gespräche und kann auch gerne mal Wochen in Anspruch nehmen. In der Zeit werden nur Ausgaben, keine Einnahmen generiert. Also was tun? Man muss schneller werden. Man muss auf den Schnellzug der Datenströme aufspringen, denn Ideale und Integrität bezahlen nun verständlicherweise nicht die Mitarbeiter. Sich zu verändern ist per se nichts Schlechtes, ich halte den Mut zur Veränderung für wichtig und nötig, da auch die Welt und die Menschen in dieser sich stetig verändert. Aber es sollte abgewägt werden, zu welchem Preis bestimmte Veränderungen geschehen und ob bzw. wie ein Mittelweg gefunden werden kann.
Denn meiner Meinung nach geschehen die medialen Veränderungen unserer Zeit nicht zwangsläufig nur auf Grund der veränderten Lebensumstände, sondern vor allem auf Grund einer "Höher-Schneller-Weiter-Sprint"-Mentalität, die tief in unseren Köpfen verankert ist. Wenn eine Gesellschaft, politisch wie medial, auf stetiges Wachstum ausgerichtet ist, geht es halt immer nur vorwärts. Nur leider gibt es keinen Zieleinlauf, obwohl alles im Leben begrenzt ist.
Nun könnte man über Menschen die Medien gestalten schimpfen, aber auch dies ist differenziert betrachtet gar nicht so einfach. In der Zeit vor unseren technischen Errungenschaften funktionierte Redaktionsarbeit ganz anders. Heute beziehen Redaktionen Informationen zumeist selbst aus dem Netz - wo früher noch mehr Redakteure für viel weniger eingehende Nachrichten zuständig waren, haben wir heute weniger Redaktionen, in denen im Sekundentakt Nachrichten eingehen. Auch geht es meist um Zahlen, nicht um Menschen. Statistiken, Verkäufe, Klicks - und diese erreicht man am besten, in dem Aufsehen erregt wird und kaum etwas erregt aktuell mehr Aufsehen als Feindseligkeiten und Hetze. Leider.

Aktuelles Beispiel: Essener Tafel. Diese hat im Dezember 2017 beschlossen als Neukunden nur noch Menschen mit einem deutschen Pass anzunehmen. Verständlicherweise hat dies für viel Aufsehen gesorgt und eine Antwort folgte (nach deutschlandweiter Berichterstattung) in der Nacht zum 25.02.2018 - die Lieferwagen der Tafel wurden beschmiert mit "Nazis" und "Fuck Nazis". Jetzt kann man das Vorgehen der Essener Tafel und auch das der Vandalen scheiße oder gut finden. Eins bleibt gleich - die Extreme des Handelns. Über beide Begebenheiten können medial Einnahmen generiert werden. Nicht von den Vandalen oder von der Tafel - sondern von Menschen, die mit Medienarbeit ihr Geld verdienen. Ich persönlich habe zuerst nur von den Problemen der Essener Tafel gelesen, wie wahrscheinlich die meisten - fast überall wird nur über die Vorfälle der Stadt Essen berichtet.
Aber wenn man sich näher mit dem Thema beschäftigt, kann man erfahren, dass es in verschiedenen Städten Probleme in Einrichtungen der Tafel gab. Alleinerziehende und Rentner hätten sich zurückgezogen, die Neuzugänge an ausländischen Neukunden habe sich stark erhöht, einige der deutschen Kunden hätten sich bedrängt gefühlt - so ein Thema kann in der aktuellen Stimmung, medial und politisch, ideal ausgeschlachtet werden. Jetzt kann man sich wieder mit einem "Flüchtlingsproblem" auseinandersetzen oder streiten, wer was wie zu machen und zu lassen hat.

Fakt ist: Es mussten Lösungen gefunden werden. Jeder, der schon mal Hilfe in Anspruch nehmen musste/muss wird zustimmen, dass diese nicht verweigert werden sollte, weil du in eine bestimmte Kategorie eingeteilt werden kannst. Dies widerspricht nicht nur dem Hilfsangebotsgedanken für Bedürftige, sondern auch dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Verschiedene Tafeln vor Ort, wie zum Beispiel in Bottrop, haben eine andere Lösung gefunden. Dort gibt es einen Tag für Mütter mit kleinen Kindern, Rentnern und bewegungseingeschränkte Personen. Nur leider wird darüber kaum berichtet. "Lösung gefunden", "Alle vertragen sich" oder "Wir kommen klar" verkauft sich eben nicht gut.

Es würde uns allen guttun, immer wieder kurz innezuhalten, über unsere schnell gefasste Meinung nachzudenken und sie eventuell sogar zu hinterfragen. Im Idealfall sogar miteinander zu reden und zu versuchen, andere Meinungen zu tolerieren - man muss diese ja nicht gut finden.  Aber zumindest festzuhalten, dass es nicht "die eine" allgemeine Wahrheit gibt, auch wenn diese vermeintlich irgendwo steht. Und wer dies nicht kann, dem kann ich nur den Tipp geben, Medien auch mal wegzupacken und ein paar Tage offline zu verbringen.

"2 freie Tage.
Tag 1: 10h online. Fazit: Die Welt ist kaputt.
Tag 2: 10km durch die Natur. Fazit: Die Welt ist ein Meisterwerk."
(gesehen bei Twitter, @wortgourmande)




©  Jessica Kratz (Landesgeschäftsführerin ÖDP NRW)


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