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Pressemitteilung

ÖDP-NRW fordert die sofortige Stilllegung der beschädigten belgischen AKWs

Auswärtiges Amt soll belgischen Botschafter einbestellen

(Tihange/Aachen/Münster) Am Sonntagfrüh erfolgte eine Schnellabschaltung des belgischen AKWs Tihange 2. Im Stahl des Druckbehälters dieses Reaktors wurden tausende Risse festgestellt.

 

Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) NRW fordert die sofortige Stilllegung aller beschädigten belgischen Kernkraftwerke. Jede Schnellabschaltung ist ein Spiel mit der Gefahr eines GAUs. Der Weiterbetrieb der Reaktoren ist daher zynisch und menschenverachtend.

 

Die ÖDP-NRW verlangt Auskunft von der belgischen Atomaufsicht, wie groß die Belastung des Reaktordruckbehälters am Sonntagfrüh war, und welche Belastungen der Druckbehälter mit Sicherheit aushält.

 

In den belgischen Schrottreaktoren wurden tausende Risse im Stahlmantel der Reaktordruckbehälter festgestellt. Einen Nachweis, dass der Stahlmantel trotz Materialermüdung hält, ist die Betreiberin Electrabel schuldig geblieben. Die belgische Atomaufsicht hat dennoch die Genehmigung zum Wiederanfahren der AKWs Tihange 2 und Doel 3 gegeben. Diese verantwortungslose Entscheidung führt nach Auffassung der ÖDP-NRW dazu, dass bei jeder Schnellabschaltung die Betreiberin „russisches Roulett“ spielt, und zwar mit dem Leben und der Gesundheit der Menschen im näheren und weiteren Umfeld der Schrott-Reaktoren. Auswirkung eines GAUs könnte bei entsprechender Wetterlage nicht nur gesamt NRW betreffen, sondern auch z. B. Frankfurt und München.

 

Die ÖDP-NRW fordert von der NRW-Landesregierung und der Bundesregierung nach dem neuerlichen Störfall  energische Schritte zu unternehmen, den Weiterbetrieb dieser beschädigten Reaktoren zu verhindern.  Der Weiterbetrieb der AKWs stellt nach Meinung der ÖDP einen „unfreundlichen Akt“ Belgiens gegenüber deren Nachbarländern dar. Es sei an der Zeit, den belgischen Botschafter in Berlin in dieser Angelegenheit ins Auswärtige Amt einzubestellen, um Belgien den Ernst der Lage deutlich zu machen.

 

 

 

Zum Hintergrund:

Im Stahl der Reaktordruckbehälter der Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 wurden tausende Risse entdeckt. Die Betreiberin gibt an, diese seien schon immer vorhanden gewesen. Sie kann aber die genaue Herkunft der Risse nicht nachweisen.

Die Festigkeit der Stähle in einem Reaktordruckbehälter ist im Falle einer Notabschaltung von besonderer Bedeutung. Hierbei entstehen erhebliche Drücke, die zum Bersten des Reaktordruckbehälters und damit zu einer unkontrollierten Freisetzung radioaktiven Material führen können. Je länger der Stahl der radioaktiven Strahlung ausgesetzt war, desto geringer seine Festigkeit.

Die Festigkeit der Stähle in Tihange 2 und Doel 3 sind vermutlich grenzwertig. Für eine empirische Untersuchung fehlen die Teststähle in den Reaktordruckbehältern der beiden AKWs. Daher ist eine materialwissenschaftliche Untersuchung nicht möglich. Dies hat aber die Betreiberin zu verantworten, die solche Teststähle zur Untersuchung der Auswirkungen der Strahlung auf die Stähle nicht in den Reaktordruckbehälter eingebracht hat. Im AKW Beznau in der Schweiz, in dessen Reaktordruckbehälter Teststähle eingebracht wurden, konnte die Materialermüdung durch die Radioaktivität nachgewiesen werden.

 

Eine Studie der Schweizerischen Energie-Stiftung SES führt dazu aus (Quelle: http://www.greenpeace.org/switzerland/Global/switzerland/de/stromzukunft_schweiz/atom/ageing2014/ses14_studie_risiko_altreaktoren_schweiz_internet.pdf ):

 

„Der Reaktordruckbehälter ist das für die Sicherheit eines Kernkraftwerkes wichtigste

Bauteil. Er wird während des Betriebes ununterbrochen einer hochenergetischen Neu-

tronenstrahlung ausgesetzt, was eine kontinuierliche Materialversprödung und damit

einen kontinuierlichen Verlust der Zähigkeit des Metalls zur Folge hat. Die mechanische Belastbarkeit des Reaktordruckbehälters nimmt im Laufe der Zeit ab. Ähnlich wie

Glas, kann ein versprödeter Reaktordruckbehälter unter normalen Betriebsbedingungen

aber insbesondere unter Störfalleinwirkungen, z. B. bei einer Notkühlung aufgrund eines

Bruches einer Hauptkühlmittelleitung, bei denen der Reaktordruckbehälter einem er

höhten Druck und einer erhöhten Temperatur und starken Temperaturschwankungen

(Thermoschock) ausgesetzt sein kann, bersten. Da ein Leck im Reaktordruckbehälter ab

einer bestimmten Grösse unbeherrschbar ist, kommt es in diesem Fall unweigerlich zu

grossen Freisetzungen radioaktiver Stoffe.

 

Die Ursache für die Versprödung sind Veränderungen im Kristallgitter des Materials.

Treffen Neutronen auf Eisenatome, stossen sie diese von ihren angestammten Gitterplät-

zen fort. Die verdrängten Eisenatome verdrängen nun ihrerseits andere Eisenatome von

ihren angestammten Plätzen, so dass es im Sinne einer «Kettenreaktion» zu grösseren

Defekten und im schlimmsten Fall zu Rissen kommt, die vorherzusagen ausserordent-

lich schwierig ist. Diese feinen Risse können, wie allgemein bekannt, Ausgangspunkt für

weiteres Risswachstum sein. Die Forschung bemüht sich zwar intensiv, quantitative Ant-

worten über das Materialverhalten unter Neutronenbestrahlung zu geben, die bisherigen

Ergebnisse sind aber nicht so eindeutig, dass eine wirklich belastbare Aussage über das

Materialverhalten des Reaktordruckbehälters nach vielen Betriebsjahren unter dem Ein-

fluss der Neutronenbestrahlung an jeder Stelle des Materials gemacht werden kann. Übli-

cherweise erfolgt die Kontrolle des Materialzustandes mit sogenannten Voreilproben, die

aus dem gleichen Stahl wie das Reaktordruckgefäss bestehen. Man glaubt nun, man kön-

ne durch werkstofftechnische Untersuchungen dieser Voreilproben Aussagen über das

Alterungsverhalten des gesamten Reaktordruckbehältermaterials machen. Dies ist aus

verschiedenen Gründen fragwürdig. Zum einen ist der Neutronenfluss im Reaktordruck-

behälter sehr unterschiedlich, die Voreilproben können aber nur an bestimmten Stellen

angebracht werden, zum anderen hängt die Art der Defektstellen im Material nicht nur

von der kumulierten Neutronenstrahlung sondern auch von der zeitlichen Verteilung

der Neutronenstrahlung ab. Mit anderen Worten, es macht einen Unterschied aus, ob die-

selbe Menge an Neutronen in einer relativ kurzen Zeit oder in einem grösseren Zeitraum

verteilt auf das Material einwirkt. Ungeklärt ist auch, ob der Schädigungsmechanismus

kontinuierlich fortschreitet, oder ob es oberhalb einer bestimmten Neutronenbestrah-

lung, wenn also ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist, es zu einem plötzlichen

massiven Anstieg der Versprödung kommt. Dieser Effekt ist unter Forschern unter dem

Begriff «Late-Blooming-Effekt» bekannt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Materialei-

genschaften von längerer Zeit bestrahlten Reaktordruckbehältern nur begrenzt beurteilt

werden können. Zu dieser Versprödung als Ursache für reduzierte Festigkeitseigenschaf-

ten des Reaktordruckbehälters kommt die Ermüdung des Materials durch das An- und

Abfahren des Kernkraftwerkes. Reaktorschnellabschaltungen verstärken diesen Effekt

noch.

 

Besonders betroffen von diesen negativen Alterungswirkungen sind ältere Reaktordruck-

behälter die durch eine grosse Anzahl von Schweissnähten gekennzeichnet sind und

grössere Mengen an Kupfer und Nickel in den Schweissnähten enthalten.

Das Thema Alterung von Komponenten stellt auch die Ergebnisse von sogenannten pro-

babilistischen Analysen in Frage. Probabilistische Analysen dienen dazu, die Eintrittshäu-

figkeit von Kernschmelzen mit Hilfe von Modellen zu berechnen. Wichtige Modellgrössen

sind die Versagenswahrscheinlichkeiten von Komponenten. Dabei extrapoliert man die

Erfahrungen aus der Vergangenheit –mit teilweise weniger gealterten Komponenten- auf

die Zukunft. Da das Alterungsverhalten praktisch nicht quantifizierbar ist, sind auch

die probabilistischen Ergebnisse unter dem Alterungsaspekt sehr fragwürdig. Die Kern-

schmelzhäufigkeit wird wegen der nicht hinreichend berücksichtigten Alterungseffekte

in der Regel unterschätzt. Einzelne unerkannte und deshalb nicht beseitigte Alterungs-

effekte können zwar unmittelbar zu schweren Unfällen führen, sie können aber auch

Ursache von Störfällen sein, für deren Beherrschung Sicherheitssysteme angefordert wer-

den. Nach den Gesetzen der Ausfallwahrscheinlichkeit von Sicherheitssystemen hängt

die absolute Zahl von Ausfällen von der Zahl der Anforderungen ab. Je höher die Zahl der

Anforderungen, umso höher auch die Anzahl der Ausfälle. Mit anderen Worten, jedes Ver-

sagen eines Bauteils aus Alterungsgründen führt zu einer grösseren Wahrscheinlichkeit

eines schweren Unfalles.“

Das Wiederanfahren der beiden Atomkraftwerke setzt die Bevölkerung einem unkalkulierbaren Risiko aus. Auch macht der atomare Fallout eines GAUs nicht an der Landesgrenze hat. Die Konsequenzen wären nicht auf die grenznahen Gebiete beschränkt. Nach einer Simulation von GREENPEACE wäre nicht nur ganz NRW betroffen. Die Evakuierungszone eines GAUs von Tihange 2  oder Doel 3 würde auch die Städte Frankfurt und München und sogar Salzburg umfassen, je nach Wind- und Wetterverhältnissen zum Zeitpunkt des Störfalls.

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